Sancho und seine Hormone

Sancho ist ein recht kleiner und zierlicher Podenco-Mix. Er ist unkastriert und sein Frauchen sagte, er findet immer ein Loch im Zaun und läuft weg. Sie war schon sehr frustriert deswegen und fragte, ob eine Kastration vielleicht die Lösung sein könnte.

Ich stelle mir immer einen Ort vor, an dem ich mich mit dem Tier treffe. Mit Sancho habe ich mich an dem Loch im Zaun getroffen. Am Anfang des Gesprächs stand er auf der anderen Seite und wollte nicht wieder in den Garten kommen. Hat mich angebellt, weil er auf keinen Fall wieder rein wollte.

Wir haben dann das Gespräch geführt und am Ende habe ich mich verabschiedet und ihm gesagt, er kann jetzt loslaufen, wie es ihm gefällt. Aber er wollte gar nicht. Kam – es wirkte auf mich wie schuldbewusst oder „geläutert“ durch das Loch herein und schlich etwas geduckt / traurig in Richtung nachhause. Er hatte gar kein Bedürfnis mehr, wegzulaufen.

Doch nun zu den interessanten Stellen in unserem Gespräch:

Wie würdest du dich beschreiben?

Muskulös, (Bild: Bulldogge. Er sieht sich als so muskelbepackt und beeindruckend wie eine Bulldogge) Habe Bewegungsdrang. Ich bin ein richtiger Mann. Man kann mich nicht so einfach einsperren. Ich muss nach meinem Revier sehen. Der Zaun gehört da nicht hin. Es ist darum mein Recht, dass ich ihn kaputt mache!

Wie geht es dir? Tut dir etwas weh?

Leichtes Ziehen an der Wirbelsäule am unteren Nacken. Könnte vom ruckartigen Ziehen am Halsband sein, oder eine leichte Blockade. Der Nacken fühlt sich ein bisschen steif an. Es ist nur wenig beeinträchtigend. Könnte mir vorstellen, dass es wegen seiner sonstigen Art gar nicht auffällt, sondern man es eher seiner etwas steifen Macho-Haltung zuschreibt. (Rückmeldung vom Frauchen: Das mit seinen Nacken stimmt! Er hat da eine Blockade.)

Wie fühlst du dich bei uns?

Ich hab irgendwie nicht so die richtige Beziehung. Es ist so viel Stress und Unruhe. Mein Frauchen ist oft geistig abwesend. Sie ist überfordert mit allem und darum ist da eine unsichtbare Wand zwischen uns. Sonst ist es schon ok. Passt. (Rückmeldung vom Frauchen: und auch mit unserer Bindung spüre ich das wir diese noch nicht richtig haben. Ich liebe ihn, keine Frage aber diese Bindung fehlt und ich weiß nicht warum. Überfordert bin ich in der Tat gerade mit ihm, weil ich so einen Fall Hund noch nie hatte, der so voller Freiheitsdrang ist.)

Warum läufst du immer weg?

Ich will was erleben, mein Revier abchecken. Gucken, was da so geht. Wissen, wer da so alles herumläuft (es geht ihm nur um Hunde).

Wir möchten nicht, dass du den Zaun kaputt beißt und machen uns Sorgen, wenn du wegläufst.

Aber der Zaun stört mich. Es tut mir Leid, dass ihr euch Sorgen macht. (Sancho wirkt etwas zerknirscht und ehrlich betroffen.)

Wir lieben dich sehr. Fühlst du dich bei uns wohl?

Es ist manchmal ziemlich langweilig. Und dann fällt mir ein, dass ich ja auch loslaufen könnte, um etwas zu erleben. (Rückmeldung vom Frauchen: … ich hab mich gestern Abend getraut und ihn auf freien Feld mal richtig rennen lassen. Er ist zwar nicht beim ersten, zweiten, dritten rufen gekommen und erst nach 10 min aber das ist schon ein Meilen Stein gewesen. Das hat auch 2-mal geklappt.)

Hast du noch eine Botschaft?

An Frauchen: Er schickt Wärme. Ich hab dich gern.

An die Kinder: Er schickt eine etwas andere Wärme, zärtlicher. Beschützend. (Rückmeldung von Frauchen: Zu Lukas (das ist mein jüngster Sohn, 2 Jahre alt) hat er eine besondere Bindung

An einen Mann: Du bist mein Kumpel, mit dir kann ich raufen.

An alle: Ihr seid meine Familie, die ich beschütze.

 

 

 

Nachgang:

Aufgrund seiner Selbsteinschätzung (muskelbepackte Bulldogge) und seinem Drang, das Revier abzuchecken und die Kontrolle zu haben, denke ich, dass er ziemlich testosterongesteuert ist. Wie es sich für ihn ohne Hoden (also mit weniger Testosteron) anfühlt, konnte ich nicht simulieren und er kann es sich nicht vorstellen. Er hat die Bedeutung des Wortes „Kastration“ nicht verstanden und auch nicht mein „schnippschnapp“ – ich habe ihm gezeigt, dass das bedeutet, die Hoden kommen weg – nicht in der Wirkung auf ihn nachvollziehen können. (Na und, dann sind die weg. Ich merk die eh nicht.)

Welche Entscheidung Sanchos Menschen bezüglich Kastration schlussendlich getroffen haben, weiß ich nicht. Nach meiner Einschätzung waren die Hormone die Ursache für sein Weglaufen und seine übertriebene Selbsteinschätzung. Ich sprach die Möglichkeit an, probeweise einen Kastrationschip zu setzen und danach dann weiterzusehen.

TK 029 aus 2018

Zeichnung: Nathalie Forlini

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